… auch für viele Menschen, die dieses Fleisch verarbeiten. Die Lage zu ignorieren ist kaum mehr möglich.
In diesen Zeiten, in denen das Corona-Virus direkt oder indirekt unser Leben stark beeinflusst, wird uns einiges bewusst. Wir erleben, wer systemrelevant ist, um die Basis unseres Lebens, die Gesundheitsversorgung und das tägliche Essen, zu sichern. Aus meiner Sicht können wir sehr dankbar sein, dass wir hier im Vergleich mit vielen anderen Ländern sehr gut dastehen. Doch mittlerweile zeigen die Bilder und Nachrichten im Fernsehen und in den sozialen Medien das, was wir schon lange wissen, ergänzt durch eine weitere Episode.
Tierwohl? Menschenwohl?
In den großen Schlachtbetrieben, bei denen wir ohne zu übertreiben von einer riesigen Industrie sprechen können, werden Tiere verarbeitet, denen das „Tierwohl“ wie ein Fremdwort vorkommen würde – würde man sie denn befragen. Auf der im Handel anzutreffenden Skalierung von 1–4 ist die 4 wohl eher eine Ausnahme. 1 steht für unterstes Niveau in der Tierhaltung und Fütterung, also die Massentierhaltung, wie wir sie uns wahrscheinlich schlimmer nicht vorstellen können. Die 4 steht für das genaue Gegenteil, für Bio-Fleisch. Im Einklang mit der Bio-Verordnung ist Massentierhaltung nicht möglich, denn die Menge an Tieren wird der Menge an Fläche, die der Landwirt bewirtschaftet, und der Bodenqualität, angepasst. Pro Hektar Fläche – ein Hektar sind 100 x 100 m, also 10.000 m2 bzw. 2 große Fußballfelder – dürfen maximal 1.000 kg lebendes Tier leben. Im Fachjargon heißt das: maximal 2 Großvieheinheiten pro Hektar (2 GVE/ha). 1 Milchkuh wiegt ca. 500–600 kg, eine Fleischkuh 600–700 kg und ein ausgewachsenes Schwein wiegt ca. 130 kg.
Während sich also klare Zahlen für eine gute Tierhaltung finden lassen, ist das für viele Menschen, die die Tiere verarbeiten, scheinbar reines Wunschdenken. Deutlich wird derzeit, dass die Personen auf engstem Raum leben, zusammengepfercht mit mehreren in kleinen Zimmern, Sanitärräume wie Toilette und Dusche werden gemeinsam genutzt, Küche auch. Massen-Menschen-Haltung, sozusagen. Und jetzt kommt noch eine schlechte Botschaft hinzu: Vermehrt greift das Virus unter den Beschäftigten einiger Schlachtbetriebe um sich.
Nicht überraschend, wo das uns schützende Abstandhalten dort einfach gar nicht möglich ist. Doch erschreckend ist es dennoch! Ist es an der Zeit für eine Art „Menschenwohl-Siegel“ in Analogie zum Tierwohl-Siegel, um Ausbeute zu vermeiden und die Würde zu sichern?
Es ist eine Frage der Haltung!
Es bleibt zu fragen, warum es diese Verhältnisse gibt. Die meisten der gefundenen Antworten werden sich wahrscheinlich um das Thema Geld drehen. Ganz gleich, ob es um die Tiere oder auch die Menschen geht, es ist eine Frage der Wertschätzung. Preiswert, dieses Wort beinhaltet eine sehr persönliche Einschätzung dessen, was uns etwas wert ist. Sicher ist eines: Wenn wir Fleisch essen, das billig ist, kann sich damit weder die Situation für die Menschen, die dieses verarbeitet haben, noch für die Tiere selbst ändern. Manche nehmen das in Kauf. Andere zeigen eine andere Haltung und wählen Qualität statt Quantität. Übrigens! Wir brauchen auch gar nicht viel Fleisch, um gesund zu bleiben. Und wer über den hohen Preis guten Fleisches stolpert, dem rate ich zur „Mischkalkulation“: Teures Fleisch kombinieren mit saisonalen Gemüsebeilagen, die gerade günstig sind.
Wir sind nicht gegen Fleisch.
Fleisch ist ein gutes Lebensmittel, besser gesagt, Fleisch kann ein gutes Lebensmittel sein. Fleisch enthält für uns wertvolles Eiweiß, nützliche B-Vitamine und Mineralstoffe wie Zink und Selen, die für die funktionstüchtige Immunabwehr besonders entscheidend sind. Und Fleisch enthält auch Eisen – und zwar in der Form, die dem pflanzlichen Eisen etwas voraushat: Das Eisen aus Fleisch, das sogenannte Häm-Eisen, ist von unserem Körper besonders gut verwertbar.
Mit anderen Worten: Fleisch ist ein wertvolles Lebensmittel und es selbst kann nichts dafür, dass es Menschen gibt, die die Massentierhaltung einsetzen und so den Wert der tierischen Produkte mindern. Wenn wir in der Beratung von Fleisch sprechen, dann sprechen wir vom guten Fleisch, bei dem Tierhaltung und Fütterung sich an hohen Standards orientieren – und damit Tier- wie auch Menschenwohl in Einklang bringen.
(Heike Niemeier)
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